Eine zivilgesellschaftliche Perspektive auf die kommende Botschaft über die internationale Zusammenarbeit der Schweiz

Entwicklungspolitik, Gesundheit und das liebe Geld

Von Martin Leschhorn Strebel

Im Juni 2015 hat das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz (MMS) den ersten Entwurf zur Botschaft des Bundesrates zur internationalen Zusammenarbeit 2017-2020 kommentiert. Diese zivilgesellschaftliche Stellungnahme analysiert die künftige entwicklungspolitische Strategie in einer breiteren Perspektive, die auf die gesundheitliche Wirkung der Schweizer Entwicklungspolitik abzielt. Dabei werden auch die Herausforderungen offengelegt, vor der die Entwicklungspolitik und die internationale Gesundheitszusammenarbeit der Schweiz stehen.

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Entwicklungspolitik, Gesundheit und das liebe Geld

Spitalzelt (Foto: DEZA)

 

Wohin steuert die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in einem sich verändernden Gewässer und welche Rolle spielt auf diesem entwicklungspolitischen Dampfer die Gesundheitszusammenarbeit? Im Folgenden versuche ich eine Auslegeordnung der kommenden Herausforderungen zu erstellen und zu prüfen, wie die künftige entwicklungspolitische Strategie der Schweiz darauf zu reagieren vermag.

Schweizer Entwicklungspolitik und Health in All Policies

Im Auftrag unserer 49 Mitgliedorganisationen beschäftigten wir uns 2015 schwerpunktmässig mit dieser Frage. Dies geschah vor dem Hintergrund dessen, dass sich einerseits die Verwaltung an die Entwicklung der neuen Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2017-2020 machen würde und dass sich andererseits mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO, den Sustainable Development Goals (SDGs), der Referenzrahmen für das strategische Leitdokument der schweizerischen Entwicklungspolitik verändern würde.

Eine vom MMS Vorstand gebildete Arbeitsgruppe erarbeitete zunächst die Grundlagen für eine Stellungnahme zu einem ersten Entwurf der Botschaft. Diese Grundlagen waren noch sehr stark darauf ausgerichtet, dass die Gesundheitszusammenarbeit im engeren Sinne in der neuen Botschaft angemessen reflektiert wird. An einer Sitzung im Rahmen der Mitgliederversammlung verlangten die Mitglieder einen erweiterten Blick auf die neue Botschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen hatte: Sie wollten, dass die künftige entwicklungspolitische Strategie des Bundes daraufhin analysiert werde, welche Wirkung die Schweizer Entwicklungspolitik insgesamt auf die Gesundheit in Entwicklungs-, Schwellen- und Transitionsländern haben werde.

Ein solcher  Health in All-Policies-Ansatz (PAHO: About Health in All Policies) darzulegen, war um einiges aufwendiger: Es genügte nicht, sich bei der Analyse des Entwurfs zur Botschaft auf die Aspekte zu konzentrieren, welche die Gesundheitszusammenarbeit im engeren Sinn betreffen. In den Blick genommen werden musste eben das ganze Tätigkeitsfeld, das nicht nur die klassische Südarbeit umfasst, sondern auch die Humanitäre Hilfe, das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe, die wirtschafts- und handelspolitischen Massnahmen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit oder die Transitionszusammenarbeit zugunsten der Staaten Osteuropas und Zentralasiens.

Im Fokus standen neben der Gesundheit, die gesundheitlichen Dimensionen der Menschenrechte, der Inklusion von Menschen mit Behinderung, der Bildung, der Handelspolitik und der Friedensförderung. Die Aktivitäten in all diesen Bereichen beeinflussen die Determinanten der Gesundheit der ärmsten Menschen weltweit.

Im Folgenden möchte ich einige Schlüsse ziehen, die auf dieser vertieften Auseinandersetzung mit der Botschaft beruhen. Ich werde die Botschaft als Ausdruck des politischen Umfeldes lesen, um zu analysieren, wohin die Reise der Schweizer Entwicklungspolitik geht. Ich werde dabei natürlich ein Augenmerk auf die Gesundheitszusammenarbeit legen, um schliesslich den Weg aus der Defensive aufzuzeigen, in der die Entwicklungspolitik der Schweiz insgesamt steckt.

Die neue Botschaft in ihrem Kontext: Grundsätzliche Überlegungen

Der Titel des Symposiums 2015 stellte die These in den Raum, dass sich das Umfeld für die Entwicklungszusammenarbeit seit dem Beginn der laufenden Botschaft 2013 verändert habe. Tatsächlich lassen sich verschiedene Veränderungen im internationalen wie auch im innenpolitischen Umfeld der Schweiz festmachen, die auf die Entwicklungspolitik wirken.

Internationales Umfeld

Nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs): Mit den im vergangenen September von der UNO verabschiedeten Entwicklungszielen, die die 2015 auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele ablösen, erhält die Entwicklungszusammenarbeit einen neuen Referenzrahmen für die kommenden fünfzehn  Jahre. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er viel umfassender angelegt ist und neben den entwicklungspolitischen Zielen auch umweltpolitische Ziele miteinschliesst. Aus Sicht der globalen Gesundheit ist dies zu begrüssen – auch wenn einige bedauern, dass gemessen an der Quantität der Ziele, Gesundheit zu wenig prominent sei. Gerade wenn auch soziale, wirtschaftliche und ökologische Determinanten der Gesundheit angegangen werden sollen, macht ein umfassender Ansatz Sinn. Die Kehrseite der Medaille ist die schwierige Vermittelbarkeit gegenüber der Öffentlichkeit und den politischen EntscheidungsträgerInnen. Die leicht naserümpfende Reaktion der Schweizer Leitmedien hat dies bereits deutlich gemacht. (Leschhorn Strebel 2015)

Der Entwurf zur Botschaft spricht selbstverständlich die neuen UN-Nachhaltigkeitsziele an und bekennt sich auch zu ihnen. Aber offensichtlich ist es für die neue entwicklungspolitische Strategie der Schweiz zu früh, die Umsetzung der SDGs systematisch in die Botschaft zu integrieren. In seiner Stellungnahme zum ersten Entwurf der Botschaft kritisierte das Netzwerk Medicus Mund Schweiz, dass Gesundheit im Kontext der SDGs nicht reflektiert werde: Das ist doch einigermassen erstaunlich, hat sich die Schweiz insbesondere für das Gesundheitsziel eingesetzt. Der bundesrätlichen Position „Maximierung der Gesundheit für alle in allen Lebensabschnitten“ entspricht die Formulierung des SDGs Ziel Nummer 3 „Ensure healthy lives and promote wellbeing for all at all ages“ ziemlich exakt. (Schweizer Position 2014)

Das Umfeld der Entwicklungspolitik und ihrer Umsetzung strukturiert sich allerdings nicht alleine entlang des Referenzrahmens der Völkergemeinschaft. Vermutlich sind die folgenden Faktoren, globale wirtschaftliche Entwicklung sowie Krisen und Konflikte im internationalen Umfeld letztlich wohl prägender für die Entwicklungszusammenarbeit.

Globale wirtschaftliche Labilität: Auch sieben Jahr nach der Finanzkrise hat sich die Weltwirtschaft nicht nachhaltig erholt. Waren die Millenniumsentwicklungsziele in eine globale, wirtschaftliche Entwicklungsphase gefallen, bleiben die wirtschaftlichen Aussichten unsicher. Die für die globale Entwicklung wichtigen neuen Akteure Brasilien, Russland, Indien und China blicken wirtschaftlich ungewissen Zeiten entgegen. Das wirtschaftliche Umfeld bleibt krisenanfällig.

Der Entwurf der Botschaft geht nicht darauf ein, dass die Weltwirtschaft nach wie vor so fragil ist, dass eine erneute Krise möglich ist. Sie ist aber klar, was die strategische Zielsetzung anbelangt: „Die internationale Zusammenarbeit engagiert sich für ein inklusives und nachhaltiges Wachstum, das Arbeitsplätze schafft, die Produktivität steigert, Armut und Ungleichheiten abbaut, aber auch umweltverträglich und sozial fair ist.“ Ob dieser Nachhaltigkeitsansatz auch gegen neue wirtschaftliche Stürme wetterfest ist, muss sich hoffentlich nicht beweisen.

Neben der global wirtschaftlich labilen Situation sowie den SDGs als neuen globalen Referenzrahmen wird die Entwicklungszusammenarbeit zusätzlich durch die Krisenhaftigkeit des globalen Umfeldes geprägt.

Bewaffnete Konflikte, humanitäre Krisen und fragile Kontexte: Afghanistan, Burundi, Mali, Süd Sudan, Jemen, Syrien, Ukraine, Guinea, Sierra Leon, Liberia – die Weltgemeinschaft ist jüngst mit hochkomplexen Krisen konfrontiert. Die sogenannte Flüchtlingskrise ist dabei nur Ausdruck dieser Krisenhaftigkeit der internationalen Politik.

Syrische Flüchtlinge im Flüchtlingslager Kaworgosk, Irbil (Foto: IHH Humanitarian Relief Foundation/flickr)

 

Dieser krisenhafte Kontext bleibt leider weiter erhalten. Es gibt schlicht keine Anzeichen, dass die Weltpolitik, die sich wieder verstärkt entlang nationaler Interessensphären strukturiert, fähig ist, nachhaltige Konfliktlösungsmechanismen auf die Beine zu stellen. Mit der Botschaft ist die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) angesichts dieser Krisenhaftigkeit grundsätzlich gut aufgestellt, in dem sie die Humanitäre Hilfe insgesamt stärken möchte. Ausserdem wird die neue Botschaft ebenfalls die Strategie der Abteilung Menschliche Sicherheit beinhalten und damit die Bereiche Konfliktbearbeitung und Menschenrechte in den entwicklungspolitischen Kontext rücken.

Der Entwurf zur neuen Botschaft gibt tatsächlich ein paar mögliche Antworten auf die globalen Herausforderungen. Ob sie ausreichen werden, wird sich zeigen. Die DEZA hat die Diskussion über die neue Strategie vor einem Jahr mit den Worten lanciert, dass die neue Botschaft gegenüber der laufenden nicht viel ändern werde. Neben der erwähnten Schwerpunktsetzung im Bereich Humanitäre Hilfe und der Integration der Abteilung Menschliche Sicherheit, umschreibt dies die Herangehensweise an die Erarbeitung der neuen Botschaft wohl ziemlich genau. Die genaue Bedeutung der Umsetzung der SDGs ist noch nicht so weit vorgedrungen und das internationale Umfeld ist zu stark in Bewegung, um eine völlige neue entwicklungspolitische Strategie der Schweiz zu schreiben.

Aus diesen Gründen macht es Sinn von einer Übergangsbotschaft sprechen.

Schweizerisches Umfeld der internationalen Zusammenarbeit

Das internationale Umfeld wird die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit – und mit ihr auch die Gesundheitszusammenarbeit – herausfordern. Die DEZA hat mit ihren MitarbeiterInnen zweifellos die notwendigen Kompetenzen auch jenseits der Botschaft auf diese Herausforderungen zu reagieren.

Viel schwieriger wird es aber für die DEZA sein, den innenpolitischen Herausforderungen zu begegnen, welche auf die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz zukommen. Die Stärkung der nationalkonservativen und rechtsbürgerlichen Kräfte bei den Wahlen wird die Herausforderungen insgesamt akzentuieren, aber nicht grundsätzlich ändern.

Aussenpolitik der Schweiz: Die Europapolitik steht aus verständlichen Gründen im Vordergrund der Schweizer Aussenpolitik. Die Entwicklungszusammenarbeit droht dabei in den Interessenabwägungen unterzugehen. Die andauernde Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz von rechts wird die Entwicklungspolitik weiter unter Druck halten. Aufgrund der europapolitischen Prioritäten der anderen Parteien könnte dieser Druck durchaus erfolgreich sein.

Der Entwurf zur Botschaft nimmt dies vorweg, indem künftig mehr finanzielle Mittel in die politisch unumstrittenere humanitäre Hilfe fliessen sollen. In diesem Sinne lässt sich diese Schwerpunktsetzung allenfalls gar nicht als Reaktion auf die internationalen Herausforderungen lesen, wie ich dies vorher ausgeführt habe, sondern als reine Interessenpolitik vor einem schwierigeren innenpolitischen Umfeld.

Finanzpolitik: FDP und SVP werden am ehesten in der Haushaltspolitik beweisen können, dass sie fähig sind, gemeinsame Positionen zu finden und politisch durchzusetzen. Das Budget für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, dem bereits für 2016 Kürzung von 110 Millionen Franken drohen, dürfte weiter unter Druck kommen. Der noch bis vor kurzem geäusserte politische Wille des Parlamentes, 0,5% des Bruttonationalproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, könnte im neuen Parlament fallen. Und die Finanzprospektionen gehen davon aus, dass dieses Ziel bis 2020 nicht erreicht werden kann.

Gute Gesundheitszusammenarbeit und gute Entwicklungspolitik erschöpfen sich nicht in den finanziellen Mitteln, die ihnen zugesprochen werden. Und natürIich ist die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) auch nicht die einzige und schon gar nicht mehr die bedeutendste Finanzierungsquelle von Entwicklung.

Nun ist Finanzpolitik aber nicht einfach Buchhalterei, sondern in erster Linie eben Politik. Mit dem finanziellen Bekenntnis zur öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit zeigt die Politik etwa, wie solidarisch ein Land sein möchte oder sein kann. Und sie bestimmt mit, ob die Politik auch gewillt ist, politische Verantwortung und damit auch Gestaltungswille für die Erreichung der nachhaltigen UNO-Ziele zu übernehmen.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Verlagerung von Mitteln aus der regionalen Zusammenarbeit der  DEZA in die Humanitäre Hilfe beurteilt werden. Das Zeichen, das der Bundesrat unlängst im Zusammenhang mit der Nothilfe an Syrien gesetzt hat, macht deutlich, dass die humanitäre Hilfe zulasten der Entwicklungszusammenarbeit erfolgen soll. (Häfliger 2015/Alliance Sud 2015) Dies untergräbt die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz nicht nur finanziell, sondern auch in ihrer Legitimität, kann sie doch so ihren langfristigen Zielen nicht mehr gerecht werden.

Die Zivilgesellschaft ist diesen innenpolitischen Herausforderungen gegenüber nur schlecht vorbereitet. Einerseits wurde mit der letzten Reform die DEZA insgesamt geschwächt. So gibt es heute keine eigene Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der DEZA mehr. Damit wurde ihr auch die Möglichkeiten genommen, selber proaktiv und regelmässig aufzuzeigen, was sie in der Entwicklungszusammenarbeit zu leisten im Stande ist und welche Bedeutung ihr für die Schweiz mitsamt dessen Wirtschaftsstandort zukommt.

Andererseits aber ist die Zivilgesellschaft in der Schweiz heute schwächer aufgestellt also noch im Vorfeld der letzten Botschaft, als sie die Debatte sehr erfolgreich mit einer Kampagne für die Forderung prägen konnte, 0,7% des Brutonationalprodukts in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Sind wir ehrlich: Wir sind heute in der Defensive.

Gesundheit in der Übergangsbotschaft

Ich bin überzeugt, dass die kommende Botschaft sich vor allem aus dem innenpolitischen Schussfeld nehmen möchte und deshalb auf eher leisen Sohlen daherkommen wird. Sie ist also weniger Ausdruck davon, auf die vielfältigen neuen Herausforderungen zu reagieren, als vielmehr im Parlament eine politische Mehrheit zu erlangen.

Welche Rolle spielt nun die Gesundheit in dieser Übergangsbotschaft? Und im Sinne eines Health in All Policies-Ansatzes: Welche Folgen haben die in der Botschaft angelegten Strategien auf die globale Gesundheit? Ich möchte hier beispielhaft drei Elemente herausgreifen, die das Netzwerk auch in seiner Stellungnahme thematisiert hat und die auch im Zusammenhang mit dem Vorhergesagten stehen.

Globalprogramm Gesundheit

Mit der neuen Strategie als Übergangsbotschaft wird weiterhin am System der Globalprogramme festgehalten. Neben Klimawandel, Ernährungssicherheit, Wasser und Migration gehört dazu auch die Gesundheit. Aus Sicht des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz hat sich der Ansatz des Globalprogrammes Gesundheit bewährt: Die Schweiz ist heute auf der Karte der globalen Gesundheit um einiges besser und insbesondere profilierter vertreten als vor der Einführung des Globalprogrammes. Dieses zielt darauf ab, die aus der bilateralen Zusammenarbeit gewonnenen Erfahrungen über multilaterale Foren wie der WHO, dem Globalen Fonds oder UNAIDS in die globale Gesundheitspolitik einzubringen. Dieses gewonnene Profil und das damit verbundene Know-How muss unbedingt erhalten bleiben – und auch für andere Bereiche wie die Humanitäre Hilfe besser genutzt werden.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird hauptsächlich durch das Staatsekretariat für Wirtschaft  (SECO) durchgeführt. Sie wird vermutlich auch aus politischen Gründen weiterhin eine bedeutende Rolle spielen, da sie auch gut ins entwicklungspolitische Verständnis der bürgerlichen Parteien passt. In unserer Stellungnahme haben wir diesem Bereich eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen.

Wirtschafts- und handelspolitische Massnahmen im Rahmen der Enwicklungszusammenarbeit

Der Rahmenkredit Wirtschafts- und handelspolitische Massanahmen im Rahmen der Enwicklungszusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er einen vielversprechenden Ansatz zur Entwicklung der Volkswirtschaften von Entwicklungs- und Schwellenländern in deren verstärkten Integration in die Weltwirtschaft sieht und es Aufgabe der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz sei, diese Länder darin zu unterstützen. Gemäss der sieben Hauptziele der neuen Botschaft wird dies mit der Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums verbunden. Dies begrüsst das Netzwerk natürlich grundsätzlich. Die entsprechenden Ausführungen greifen allerdings zu kurz und setzen sich kaum mit den gesundheitlichen Folgen der Globalisierung und den Möglichkeiten der Schweiz auseinander, eine positive Rolle zu spielen.

Dazu ein Beispiel: Der globalisierte Freihandel hat unter anderem dazu geführt, dass gesundheitsschädigende Produkte wie verarbeitete Nahrungsmittel, Süssgetränke oder Tabak in Schwellenländern oder in den urbanen Zentren Afrikas massiv grössere Verbreitung gefunden haben. Die Zunahme von nicht-übertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs gerade auch in diesen Weltregionen sind die andere Seite der Globalisierung (Leschhorn Strebel 2009). Regierungen müssen und dürfen darin gestärkt werden, regulatorisch im Sinne der öffentlichen Gesundheit zu intervenieren. Hier könnte auch das SECO eine aktive und positive Rolle übernehmen, indem sie die Regierungen ihrer Partnerländer in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit berät.

Vergleichbares lässt sich auch zur postulierten höheren Wettbewerbsfähigkeit der SECO-Partnerländer sagen. Auch diese soll das SECO in ihren Möglichkeiten unterstützen, im Rahmen der internationalen Vereinbarungen regulatorisch einzugreifen, wenn der Markt etwa bei der Bereitstellung von öffentlichen Grundgütern versagt. Im Gesundheitsbereich sei etwa auf die Möglichkeit hingewiesen, Zwangslizenzen für Medikamente zu verordnen, um die Gesundheit breiter Bevölkerungskreise zu sichern.

Humanitäre Hilfe

Ein drittes Schlagschlicht soll schliesslich auf unsere Positionierung zur Humanitären Hilfe innerhalb der Botschaft geworfen werden. Ich erinnere daran, dass die Humanitäre Hilfe sowohl aufgrund der globalen Herausforderungen, insbesondere aber auch aus innenpolitischen Gründen, mit der neuen Botschaft gestärkt werden soll. Um so wichtiger also, dass das Netzwerk einen kritischen, aber auch konstruktiven Blick auf sie wirft. Grundsätzlich begrüssen wir das Engagement in der Humanitären Hilfe. Sie darf aber nicht auf Kosten der regionalen Zusammenarbeit gehen. Nur leider, droht genau dies zu geschehen, wie ich schon gesagt habe.

Insgesamt ist die medizinische Kompetenz innerhalb der Humanitären Hilfe zu wenig ausgebaut. Die medizinische Nothilfe spielt aber in den ersten Tagen einer Katastrophe eine bedeutende Rolle. Dementsprechend sollte die Humanitäre Hilfe dies als zentralen Ansatz anerkennen und die Wichtigkeit von Gesundheit und Krankheit in Krisensituationen herausstreichen.

Sie muss gleichzeitig darauf achten, dass sie so angelegt ist, dass vorhandene Strukturen des Gesundheitssystems schnell wieder aufgebaut und in eine Normalität überführt werden können. Nur so kann die Kontrolle von auftretenden Epidemien sichergestellt und die Grundversorgung schnell wieder hergestellt werden, um das Gesundheitssystem möglichst bald auf die Zeit nach der Krise auszurichten. Dies funktioniert nur dann, wenn die Humanitäre Hilfe der Schweiz diese Aufgabe nicht an andere Akteure delegiert, sondern selbst die Führung übernimmt – natürlich in enger Zusammenarbeit mit den  Akteuren der internationalen Zusammenarbeit. Nur so kann etwa verhindert werden, dass die Schweiz wieder zur Hintertür ein  Land verlassen muss, sobald eine Krise ausgestanden ist - wie dies kürzlich ein Vertreter der Humanitären Hilfe bezüglich des Engagements bei der Ebola-Epidemie an einer Tagung zum Ausdruck gebracht hat.

Wenn die DEZA richtigerweise die Arbeit in fragilen Kontexten weiter stärken möchte, dann muss sie konzeptionell in den kommenden Jahren hier weiterkommen. Angesichts der von mir ausgeführten globalen Herausforderungen, sind radikalere Denkansätze gefragt – oder wie es Kristina Georgieva zusammen mit dem norwegischen Aussenminister Borge Brende in einem Beitrag für The Guardian geschrieben haben:

„The relationship between humanitarian and development assistance urgently requires attention because the evidence has never been more clear that the distinctions between them are artificial. The wall needs to come down: addressing humanitarian crises is not only a prerequisite of sustainable development but also a necessity if the SDGs are to be achieved.” (Georgieva and Brende 2015)

Der Weg voran

Lassen Sie mich abschliessend einige Elemente thesenartig zusammenfassen, wie es aufgrund meiner Überlegungen weiter gehen müsste:

  1. Dass die neue Botschaft eine Übergangsbotschaft sein wird, ist kein Schaden: Doch muss die DEZA im Dialog mit ihren zivilgesellschaftlichen Partnern bereits jetzt grundsätzliche konzeptionelle Überlegungen zu einer zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit anstellen.
  2. Der Ausbau der Humanitären Hilfe darf nicht auf Kosten der Entwicklungszusammenarbeit gehen.
  3. Aber: „Die künstlichen Mauern zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit“ sollen fallen: Nur eine Humanitäre Hilfe, welche etwa im Gesundheitsbereich fähig ist, die Grundsteine für eine Systemstärkung zu legen, macht Sinn.
  4. Schauen Sie sich die Erfolge der letzten Jahre mal an: Die Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Die DEZA sollte dies endlich wieder selbst kommunizieren dürfen.
  5. Bei der Aussenpolitik geht es nicht nur um unser Verhältnis zur Europäischen Union (EU) sondern auch um die Rolle und Verantwortung der Schweiz in  dieser Welt. Gute Entwicklungszusammenarbeit und ein aktives Auftreten der Schweiz auf dem internationalen Parkett und der globalen Gesundheit stärken die Schweiz.
  6. Ein Engagement für Gerechtigkeit und Solidarität weltweit ist der beste Beitrag der Schweiz angesichts der globalen Herausforderungen.
  7. Lassen Sie uns als Zivilgesellschaft das Heft in diesem Sinne wieder in die Hand nehmen.

 

Ressourcen

  1. Alliance Sud: Krisenhilfe zu Lasten der Ursachenbekämpfung. Medienmitteilung vom 18.9.2015. http://www.alliancesud.ch/de/ep/eza/krisenhilfe-auf-kosten-der-ursachenbekaempfung
  2. Kristina Georgieva and Borge Brende: The growing need for humanitarian aid means we must find a new approach to development. In: The Guardian, 26 September 2015 http://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/2015/sep/26/addressing-humanitarian-crisis-is-key-to-reaching-the-sustainable-development-goals?INTCMP=sfl
  3. Markus Häfliger: Die Schweiz will in Syrien mit gutem Beispiel vorangehen. In: Neue Zürcher Zeitung, 18.9.2015. http://www.nzz.ch/schweiz/die-schweiz-will-in-syrien-mit-gutem-beispiel-vorangehen-1.18615494
  4. Martin Leschhorn Strebel: UN-Nachhaltigkeitsziele: Überambitioniert, entmutigend und wenig zielgerichtet in die Zukunft? MMS Nachrichten vom 6. Oktober 2015. http://www.medicusmundi.ch/de/news/nachrichten/un-nachhaltigkeitsziele-ueberambitioniert-entmutigend-und-wenig-zielgerichtet-in-die-zukunft
  5. Martin Leschhorn Strebel: Chronische Krankheiten haben eine Geschichte. Armut, Krise und Globalisierung. med in CH, Juni 2009. http://www.medicusmundi.ch/de/bulletin/med-in-switzerland/chronische-krankheiten-haben-eine-geschichte
  6. Pan American Health Organisation (PAHO): About Health in All Policies. http://www.paho.org/hq/index.php?option=com_content&view=article&id=9360&Itemid=40172&lang=en
  7. Schweizer Position zur Agenda für eine  Nachhaltige Entwicklung post-2015 (Schweizer Position). Verabschiedet vom Bundesrat, Juni 2014: https://www.eda.admin.ch/content/dam/post2015/de/documents/recent/Position_CH_Post-2015_DE.pdf
Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel
Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz.